Arbeitnehmende oder Selbstständige? Zur Reform des Statusfeststellungsverfahrens

Ab dem 1. April 2022 treten neue gesetzliche Regelungen zum Statusfeststellungsverfahren im deutschen Sozialversicherungsrecht in Kraft. In diesem Beitrag erläutern wir die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Arbeitnehmenden und Selbstständigen und geben einen Überblick über die Reform des Statusfeststellungsverfahrens.

Die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Arbeitnehmenden und Selbstständigen

Die Sozialversicherung ist in Deutschland eng an den Bestand eines Arbeitsverhältnisses geknüpft. Grundsätzlich steht die Versicherungspflicht in der Renten-, Arbeitslosen-, Pflege-, Kranken- und Unfallversicherung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Stellung als Arbeitnehmende*r. Melde- und Beitragspflichten von Arbeitgebenden gegenüber den zuständigen Sozialversicherungsträgern sowie Leistungsansprüche von Arbeitnehmenden hängen somit von der richtigen Einordnung des zwischen diesen Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses ab.

Grundlage der Unterscheidung

Im Allgemeinen entscheidet sich die Einordnung einer Person als Selbständige oder Arbeitnehmende danach, ob die betreffende Person ihre Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und ihren Arbeitsort und ihre Arbeitszeit selbst bestimmen kann oder nicht. Ist dies der Fall, so ist die Person regelmäßig als Selbständige einzustufen. Ist die Person hingegen verpflichtet, die vertraglich vereinbarten Leistungen in persönlicher Abhängigkeit und unter Weisungen hinsichtlich Art, Ort und Zeit zu erbringen, so ist sie als Arbeitnehmende anzusehen.

Die Statusbestimmung stützt sich nicht allein auf die schriftlichen Vereinbarungen zwischen den Parteien. Vielmehr muss die praktische Durchführung des Rechtsverhältnisses im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des Einzelfalles beurteilt werden. Weicht die praktische Handhabung von den vertraglichen Regelungen ab, so schlägt die Praxis den Inhalt des Vertrages.

Folgen einer falschen Einordnung

Die bewusst oder unbewusst falsche Einordnung einer arbeitnehmenden Person als Selbständige (sogenannte Scheinselbstständigkeit) kann weitreichende arbeits-, steuer- und sozialversicherungsrechtliche Folgen haben und erhebliche Kosten auf der Seite von Auftraggebenden verursachen. In schweren Fällen sind auch strafrechtliche Konsequenzen möglich.

 Arbeitsrecht

Wer fälschlicherweise als Selbständige*r eingestuft wird, kann sich rückwirkend auf viele Schutzrechte zugunsten von Arbeitnehmenden berufen (z.B. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsansprüche, Überstundenausgleich, Mindestlohn). Im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann die Person (bei Vorliegen der sonstigen Anwendungsvoraussetzungen) den allgemeinen oder besonderen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz bzw. speziellen gesetzlichen Regelungen geltend machen und sich im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens vor dem Arbeitsgericht gegen eine Kündigung zur Wehr setzen.

 Steuerrecht

In einem Arbeitsverhältnis ist es grundsätzlich die Aufgabe von Arbeitgebenden, die auf das Arbeitsentgelt von Arbeitnehmenden entfallende Lohnsteuer einzubehalten und an die Finanzbehörden abzuführen. Aus steuerrechtlicher Sicht besteht im Fall der Scheinselbstständigkeit für Auftraggebende das Risiko, gegenüber den Finanzbehörden nicht abgeführte Lohnsteuer sowie Säumniszuschläge für die fälschlicherweise als Selbstständige eingestufte Person zahlen zu müssen. Zu beachten ist dabei, dass die steuerrechtliche Bewertung des Status einer Person als Arbeitnehmende losgelöst von der sozialversicherungsrechtlichen Bewertung erfolgt.

Sozialversicherungsrecht

Im Fall von Scheinselbstständigkeit können vermeintlich Auftraggebende von den Sozialversicherungsbehörden dazu verpflichtet werden, ausstehende Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Im Fall von Scheinselbstständigkeit haften Arbeitgebende sowohl für ihren Anteil als auch für den Arbeitnehmendenanteil der Sozialversicherungsbeiträge.

Entsprechende Ansprüche können von den Behörden in der Regel für die letzten vier Jahre geltend gemacht werden. Bei vorsätzlichen Handlungen ist ein Rückgriff sogar für dreißig Jahre möglich. Darüber hinaus können erhebliche Säumniszuschläge erhoben werden.

Eine Rückgriffsmöglichkeit von Arbeitgebenden auf Arbeitnehmende besteht nur sehr eingeschränkt, da ein solcher Anspruch von Arbeitgebenden nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt und nur im Rahmen der nächsten drei Entgeltzahlungen geltend gemacht werden kann.

Strafrecht / Ordnungswidrigkeiten

Nach der Abgabenordnung besteht im Fall von Scheinselbstständigkeit die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung wegen Steuerhinterziehung durch vorsätzlich nicht abgeführte Lohnsteuer. Im Falle einer Verurteilung sieht die Abgabenordnung eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe, in besonders schweren Fällen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Ein fahrlässiger Verstoß gegen die Lohnsteuerpflicht durch Arbeitgebende kann mit einer Geldbuße von bis zu EUR 50.000 geahndet werden.

Darüber hinaus besteht die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung unter dem deutschen Strafgesetzbuch wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt. Im Falle einer Verurteilung sieht das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor, in besonders schweren Fällen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung von Meldepflichten im Bereich der Sozialversicherung wird mit einer Geldbuße von bis zu EUR 25.000 geahndet.

Das Statusfeststellungsverfahren

Das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) ist ein Verwaltungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutsche Rentenversicherung Bund zur Klärung der Frage, ob der Einsatz einer natürlichen Person für eine andere natürliche oder juristische Person der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Beide Parteien des Vertragsverhältnisses (also Auftraggebende/Arbeitgebende und Auftragnehmende/Arbeitnehmende) können die Durchführung des Verfahrens beantragen.

Bis die Clearingstelle im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens eine Entscheidung getroffen hat, dauert es regelmäßig etwa acht bis zwölf Wochen. Nach derzeitiger Rechtslage wird nur für die einzelnen, am Statusfeststellungsverfahren beteiligten Personen entschieden. Eine Entscheidung in einem Einzelverfahren kann jedoch eine Präzedenzwirkung für nachfolgende Statusfeststellungsverfahren vergleichbarer Personen haben.

Hat eine*r der Beteiligten Zweifel am Ergebnis des Clearingstelle, kann in einem nächsten Schritt Widerspruch gegen die Statusfeststellung eingelegt werden. In einem weiteren Schritt ist anschließend die Klage zum Sozialgericht denkbar.

Die Reform des Statusfeststellungsverfahrens

Der Gesetzgeber hat verschiedene Änderungen des Statusfeststellungsverfahrens beschlossen, die am 1. April 2022 in Kraft treten werden. Die Neuregelungen sollen auf einfachere und schnellere Art und Weise Rechts- und Planungssicherheit für beide Parteien eines zu evaluierenden Rechtsverhältnisses schaffen.

Gegenstand der Entscheidung der Clearingstelle

Bislang konnte die Clearingstelle nur über die Beitragspflicht eines Rechtsverhältnisses in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung entscheiden, nicht aber über das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses als solches. Dies folgte aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Das Statusfeststellungsverfahren dient zukünftig der Beurteilung, ob zwischen den Beteiligten ein Beschäftigungsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt und ob demnach eine Sozialversicherungspflicht vorliegt.

Prüfung von Dreiecksverhältnissen

Bisher konnten nur zweiseitige Rechtsverhältnisse in einem Statusfeststellungsverfahren geprüft werden, nicht aber dreiseitige Rechtsbeziehungen (z.B. zwischen Auftraggebender, Auftragnehmender und einer Dritten, die die Leistungen der Auftraggebenden anfordert). Dadurch mussten regelmäßig zwei Statusfeststellungsverfahren durchgeführt werden.

Jetzt können auch Dritte in das Statusfeststellungsverfahren einbezogen werden: Wird die zwischen Auftraggebender und Auftragnehmender vereinbarte Tätigkeit für eine Dritte erbracht und gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Auftragnehmende in die Arbeitsorganisation der Dritten eingegliedert und deren Weisungen unterworfen ist, kann die Clearingstelle auch prüfen, ob ein Beschäftigungsverhältnis zwischen der Auftragnehmenden und der Dritten besteht.

Antrag auf eine Prognoseentscheidung

Die Parteien eines Rechtsverhältnisses beantragen ein Statusfeststellungsverfahren regelmäßig nach Aufnahme der Tätigkeit des Auftragnehmenden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Statusfeststellung auf die tatsächliche Durchführung des Rechtsverhältnisses abstellt. Nach der Neuregelung können beide Parteien schon früher Rechtssicherheit über den Status des Rechtsverhältnisses erlangen, indem sie vor Aufnahme der Tätigkeit des Auftragnehmenden für den Auftraggebenden eine Prognoseentscheidung erwirken.

Einführung einer Gruppenfeststellung

Um den Aufwand für die Clearingstelle und die Beteiligten des Statusfeststellungsverfahrens zu reduzieren und weitreichend Klarheit über den Status zu schaffen, wird eine sogenannte Gruppenfeststellung eingeführt. Diese ermöglicht es Auftraggebenden, bei gleichartigen Vertragsverhältnissen mit verschiedenen Auftragnehmenden, d.h. immer dann, wenn mehrere Vertragsverhältnisse auf der Grundlage einheitlicher Vereinbarungen durchgeführt werden, ein Gutachten einzuholen. Ein Auftragnehmender kann bei gleichartigen Vertragsverhältnissen mit demselben Auftraggebenden ein Sachverständigengutachten verlangen. Das Gutachten ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einem bindenden Verwaltungsakt, der am Ende des Statusfeststellungsverfahrens erlassen wird. Die Clearingstelle ist ferner nicht an das Ergebnis des Gutachtens gebunden.

Befristung der neuen Maßnahmen

Die vorstehenden Regelungen zur Klärung von Dreiecksverhältnissen, zur Beantragung einer Prognoseentscheidung und zur Gruppenfeststellung sind zunächst bis zum 30. Juni 2027 befristet. Darüber hinaus ist die Deutsche Rentenversicherung verpflichtet, die Änderungen zu bewerten und dem Bundesarbeitsministerium bis zum 31. Dezember 2025 einen Erfahrungsbericht vorzulegen.

Zusammenfassung und Ausblick

Bei der Reform des Statusfeststellungsverfahrens hat der Gesetzgeber die entscheidende Frage im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen Arbeitnehmenden und Selbstständigen nicht aufgegriffen: Die Gewichtung der Kriterien, die für die Abgrenzung entscheidend sind. Das Gesetz gibt durch grundsätzliche Aussagen in § 611a des Bürgerlichen Gesetzbuches und in § 84 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches zwar eine gewisse Richtung vor und die Rechtsprechung der Arbeits- und Sozialgerichte hat zahlreiche Kriterien für den Status eines Arbeitnehmenden bzw. eines Selbstständigen entwickelt. Letztlich findet sich in der Praxis jedoch nur selten ein eindeutiger Fall. Im Graubereich kommt es also auch zukünftig vornehmlich auf die Festlegung im Einzelfall an, was eine gesicherte Prognose über den Ausgang eines Statusfeststellungsverfahrens kaum möglich macht.

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung hält an den Änderungen der Vorgängerregierung zum Statusfeststellungsverfahren fest. Darüber hinaus ist geplant, Selbstständigen weitere unbürokratische Rechtssicherheit bei der Feststellung des eigenen Status zu verschaffen. Es bleibt abzuwarten, ob und in welcher Weise der Gesetzgeber die notwendigen Instrumente zur für diese Rechtssicherheit realisiert.

Angesichts der Änderungen im Statusfeststellungsverfahren sollten Unternehmen, die Freelancer oder andere Selbstständige einsetzen, noch stärker darauf achten, im Rahmen der praktischem Umsetzung des Rechtsverhältnisses kein Arbeitsverhältnis zu begründen. In diesem Zusammenhang kann unser Scheinselbstständigkeitstest für eine erste Orientierung hinsichtlich des Risikos einer Scheinselbstständigkeit dienen.

 

 

Verfasst von: Paul Single

 

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