Teures Vergnügen? Kartellrechtliche Grenzen für Preiserhöhungen in Zeiten gestörter Lieferketten

Das Interesse von Unternehmen, Kostensteigerungen möglichst an ihre Abnehmer weiterzugeben, ist ein bekanntes (und nachvollziehbares) Phänomen. Zur Zeit sind Unternehmen angesichts der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine immer stärker von knapper werdenden Ressourcen und teils explodierenden Rohstoff- und Energiekosten betroffen, sodass der Wunsch nach Kostenweiterwälzung zur Zeit besonders groß ist. Neben zivilrechtlichen Anforderungen sind bei Preiserhöhungen jedoch auch kartellrechtlichen Grenzen zu beachten. Zwei aktuelle Verlautbarungen des Bundeskartellamts („BKartA“) rufen diese Grenzen nochmals ins Gedächtnis.

Bundeskartellamt zu der aktuellen Entwicklung der Kraftstoffpreise

Zunächst nimmt das BKartA – auf Veranlassung von Wirtschaftsminister Habeck – den deutschen Kartellrechtsklassiker „Gibt es eigentlich ein Tankstellenkartell?“ wieder auf (Pressemitteilung v. 16.03.2022, abrufbar hier). 

Konkret geht es um die im Zuge des Kriegs in der Ukraine explosionsartig gestiegenen Kraftstoffpreise an den Tankstellen. Das BKartA stellt klar, dass es diese Entwicklungen kritisch verfolgt: „Wir beobachten die Preisentwicklung an den Tankstellen fortlaufend und sehr aufmerksam. Aufgrund der geopolitischen Lage sind die Preise flächendeckend schockartig gestiegen. Wenn die Rohölpreise jetzt wieder sinken und die Tankstellenpreise dem nicht folgen oder sogar weiter steigen sollten, muss man sich das genau ansehen.“ Allerdings ergänzt das BKartA, dass dazu mehrere Marktstufen gehören, vom Rohölmarkt über die Raffinerien und den Großhandel bis zu den Tankstellenbetreibern. Für eine Beurteilung der Situation sei eine alle Wertschöpfungsstufen umfassende Betrachtung „unerlässlich“.

Das BKartA hat diese Märkte bereits in der Vergangenheit vertieft betrachtet (Abschlussbericht Sektoruntersuchung Kraftstoffe abrufbar hier). Seinerzeit führte das BKartA hierzu aus: „Die fünf großen Tankstellenbetreiber in Deutschland machen sich gegenseitig keinen wesentlichen Wettbewerb, sie bilden ein marktbeherrschendes Oligopol. Unsere Studie weist im Einzelnen nach, wie die Mechanismen der Preissetzung funktionieren. Es bedarf bei solchen Marktstrukturen nicht zwingend einer Absprache. Die Unternehmen verstehen sich ohne Worte. Das führt zu überhöhten Preisen.“ Nicht zuletzt aufgrund dieser Erkenntnisse wurde in der Folge die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe eingerichtet, die es den Verbrauchern ermöglicht, sich über die aktuellen Kraftstoffpreise in Deutschland zu informieren. Im Zuge der aktuellen Entwicklungen plant Wirtschaftsminister Habeck nun, wie der Presse zu entnehmen ist, die Monitoring-Tätigkeiten der Markttransparenzstelle auf die Kraftstoffherstellung und den -großhandel auszuweiten und dem BKartA schärfere Eingriffsbefugnisse einzuräumen; insbesondere sollen der Behörde künftig nicht mehr „nur“ Preise, sondern auch Abgabemengen gemeldet werden. Ein entsprechender Regierungsentwurf könnte bereits Ende April vorliegen.

Gemeinsame einheitliche Preisaufschläge im Segment Reha und Pflege

Daneben hat das BKartA ein Kartellverwaltungsverfahren gegen Hilfsmittel-Verbände wegen gemeinsamer Preisaufschläge zu Lasten der Krankenkassen eingeleitet (Pressemittelung v. 23.03.2022, abrufbar hier).

Im deutschen Gesundheitswesen ist es durchaus üblich, dass die sog. Leistungserbringer (also diejenigen Unternehmen, die die eigentlichen Gesundheitsleistungen und -behandlungen durchführen) Kollektiv-Verhandlungen mit den gesetzlichen Krankenkassen führen um eine flächendeckende Versorgung zu homogenen Konditionen sicherzustellen (wovon auch die Versicherten profitieren können). Das BKartA prüft nun aber, ob die Leistungserbringer in den Segmenten Reha und Pflege die kartellrechtlichen Grenzen eingehalten haben.

Konkret geht es darum, dass sich die Verbände von Sanitätshäusern und anderen Hilfsmittelanbietern in diesen Segmenten nicht nur mit ihren einzelnen Verbänden gegenüber den Kassen positioniert haben, sondern sich auch diese Verbände untereinander wiederum gleichgeschaltet haben – durch Bildung einer sog. ARGE. Ob dies eine (zulässige) Arbeitsgemeinschaft im kartellrechtlichen Sinne oder nicht vielmehr ein Kartell oder gar ein (seine Marktmacht missbrauchendes) Monopol ist, will das BKartA nun genauer prüfen.

Hierbei geht es um die Forderung einheitlicher Preisaufschläge durch die ARGE, die insbesondere Sanitätshäuser und orthopädische Werkstätten repräsentiert. Die in der ARGE zusammengeschlossenen Verbände von Leistungserbringern haben mit Rundschreiben vom 7. September 2021 gegenüber mehreren Krankenkassen auf gestiegene Fracht-, Liefer- und Rohstoffkosten infolge der Corona-Pandemie hingewiesen. Zum Ausgleich forderten sie für die bestehenden Hilfsmittelverträge in den Bereichen Reha und Pflege genau fixierte Preisaufschläge und stellten gleichzeitig gegenüber den Krankenkassen Vertragskündigungen in Aussicht bzw. sprachen diese teilweise sogar aus. Mehrere Krankenkassen haben daraufhin Preiserhöhungen zugestimmt, um die Versorgung ihrer Versicherten wie bisher gewährleisten zu können; die Forderungen der ARGE wurden mit anderen Worten teilweise sogar schon durchgesetzt.

Nach ersten Vorermittlungen geht das BKartA wohl davon aus, dass die sozialrechtliche Ausnahme vom Kartellverbot aus § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V hier nicht greift. Bisher hat die Behörde bereits die ARGE-Mitglieder und rund 30 der größten gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland zu den Preisforderungen befragt. Im nächsten Schritt wird es nun von den ARGE-Mitgliedern weitere Auskünfte anfordern.

Das BKartA weist ergänzend darauf hin, dass ihm Hinweise vorliegen, wonach auch in Bezug auf weitere Hilfsmittelgruppen eine vergleichbare Konzentration auf Seiten der Leistungserbringer angestrebt werde. Das BKartA werde „diese Bestrebungen ebenfalls genau im Blick behalten“.

Kartellrechtliche Grenzen von Preissteigerungen

Aus kartellrechtlicher Sicht können Preissteigerungen kritisch sein, wenn sie auf wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen oder auf kartellrechtlich zu beanstandende Marktmacht einzelner oder mehrerer Marktteilnehmer zurückzuführen sind.

Regelmäßig eindeutig zu beurteilen ist die Situation, wenn eine Preiserhöhung auf eine Absprache bzw. Abstimmung zwischen Wettbewerber zurückzuführen ist. Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern über Preise stellen regelmäßig bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen (sog. Hardcore Beschränkungen) dar, die gegen das Kartellverbot i.S.v. § 1 GWB/ Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen. Ausnahmen hiervon sind allenfalls in begrenzten Einzelfällen denkbar, etwa im Rahmen bestimmter Bieter- oder Einkaufsgemeinschaften.

In der Vergangenheit hat das BKartA bereits mehrfach Unternehmen wegen Absprachen über Preise bzw. die Weitergabe von Kostensteigerungen bebußt. Jüngst wurden beispielsweise Bußgelder in Höhe von insgesamt EUR 210 Mio. gegen Aluminium- und Stahl-Schmieden verhängt, da sich diese über viele Jahre über ihre jeweiligen Kostensituationen und Kostenfaktoren ausgetauscht haben. Damit verfolgten die beteiligten Schmiedeunternehmen das gemeinsame Ziel, „dass Kostensteigerungen möglichst vollständig an die Kunden weitergereicht werden konnten, ohne zu befürchten, hier von der Konkurrenz unterboten zu werden.“ (Pressemitteilungen v. 23.12.2020 und 04.02.2021, abrufbar hier und hier).

Auch beim Süßwarenkartell verhängte das BKartA Bußgelder von rund EUR 60 Mio. und erklärte dazu: „Im Jahr 2007 waren die Preise wichtiger Rohstoffe für die Schokoladenherstellung, wie Milch und Kakao, deutlich angestiegen. Einzelne Unternehmen wollten offensichtlich auf Nummer sicher gehen, dass sie ihre gestiegenen Kosten einfach an die Verbraucher durchreichen können. Statt einer unternehmerischen Lösung entschied man sich in dieser Situation für ein illegales Vorgehen. Der Wettbewerb mit der Konkurrenz wurde kurzerhand ausgeschaltet und die Kunden mit abgesprochenen Preissteigerungen belastet.“ (Pressemitteilung v. 31.01.2013, abrufbar hier). 

Werden Entscheidungen über Preiserhöhungen dagegen autonom und ohne Tuchfühlung mit Wettbewerbern getroffen, steht jedenfalls das Kartellverbot i.S.d. § 1 GWB einer Preiserhöhung nicht im Weg. 

Schwieriger zu beurteilen ist mitunter allerdings die Frage, ob sich Beschränkungen aus dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 Abs. 1 GWB) ergeben. Ein Missbrauch liegt etwa vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen unangemessene Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert (§ 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB). Prüfungsmaßstab für die Fallgruppe des Ausbeutungsmissbrauchs ist dabei, ob die Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden (sog. Vergleichsmarktkonzept). Entscheidend ist demnach, welche Preise oder Konditionen sich bei hypothetischem Wettbewerb bilden würden. Existiert kein Vergleichsmarkt, kann für die Prüfung auf das Verhältnis von Kosten und Gewinn abgestellt werden. 

Im Fall einer bloßen Weitergabe von Kostensteigerungen kann allerdings wohl auf eine Vergleichsmarktbetrachtung verzichtet werden. Denn der BGH hat bereits in seinem „Valium“-Beschluss (v. 16.12.1976; KVR 2/76 (KG), abrufbar hier) zur Fallgruppe des Ausbeutungsmissbrauchs das ungeschriebene Kriterium der sachlichen Rechtfertigung ergänzt. Konkret führte der BGH aus, dass selbst eine erhebliche Überschreitung eines wettbewerbsanalogen Preises dann keine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung darstellt, wenn eine wirtschaftliche Rechtfertigung für diese Preisgestaltung vorhanden ist. Im Fall von marktweiten Kostensteigerungen, die alle Anbieter gleichermaßen treffen, und die das marktbeherrschende Unternehmen lediglich weitergibt, werden regelmäßig gute Argumente gegen einen Ausbeutungsmissbrauch sprechen.

Daneben liegt ein Missbrauch vor, wenn gegen das sog. Anzapfverbot verstoßen wird, wenn also ein marktbeherrschendes oder marktstarkes (§ 20 GWB) Unternehmen ein anderes Unternehmen dazu auffordert, ihm ohne sachlich gerechtfertigten Grund Vorteile zu gewähren (§ 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB). Als Vorteil wird allgemein jede objektive Besserstellung verstanden. Aus Sicht des BKartA kann dies auch höhere Preise, kürzere Vertragslaufzeiten oder Mindermengen umfassen. Um einen Verstoß zu vermeiden, müssen die geforderten Vorteile nachvollziehbar begründet werden, in einem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung stehen und sachlich gerechtfertigt sein.

Letzteres ist regelmäßig Kern der Prüfung und lässt sich nicht pauschal beantworten. Im Rahmen seiner kürzlich erfolgten Ermittlungen zu hohen und stark ansteigenden Verkaufspreisen bei Spanplatten hat das BKartA allerdings ausgeführt, dass „Versorgungsengpässe bei Kapazitätsauslastung, die hohe Nachfrage, leere Läger und gestiegene Rohstoffkosten“ grundsätzlich nachvollziehbare Begründungen für Preissteigerungen sein können. Dementsprechend hat die Behörde in diesem Fall letztlich auf die Einleitung eines Kartellverwaltungs- oder Missbrauchsverfahrens verzichtet: „Entscheidend hierfür ist, dass die Corona-Pandemie und ihre Folgen derzeit die Marktbedingungen im Anschluss an mehrere Lockdowns und Produktionsunterbrechungen stark beeinflussen und verzerren.“ (Fallbericht v. 23.07.2021, abrufbar hier). 

Vor dem Hintergrund der immer noch schwelenden Corona-Pandemie und des nun hinzugekommenen Kriegs in der Ukraine dürften auch marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen zur Zeit daher grundsätzlich gute Argumente haben, um Kostensteigerungen bei ihrer künftigen Preisgestaltung weiterzuwälzen.

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob dies – neben diversen zivilrechtlichen Fragestellungen insbesondere zum Wegfall bzw. der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) – auch für bestehende Verträge gilt. Das BKartA scheint dem jedenfalls nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber zu stehen. So wird im Fallbericht Spanplatten einleitend auch von Hinweisen auf „nachträgliche drastische Preisanhebungen“ gesprochen. Die weiteren Ausführungen des BKartA zur sachlichen Rechtfertigung sind diesbezüglich offen formuliert, schließen also auch diese Konstellation nicht explizit von der Rechtfertigung aus. Insoweit dürfte es für die Bewertung letztlich auf den Einzelfall ankommen. Dabei sind insbesondere Grund und Umfang der Preiserhöhung, die Vertragslaufzeit und die Marktgegebenheiten zu berücksichtigen.

Bei alledem muss zur Vermeidung eines Marktmachtmissbrauchs aber auch das Diskriminierungsverbot des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB berücksichtigt werden. Danach liegt ein Missbrauch vor, wenn ein marktbeherrschendes bzw. marktstarkes Unternehmen ein anderes Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar anders behandelt als gleichartige Unternehmen. Daraus folgt: Preiserhöhungen sollten möglichst im gleichen Maße und nicht nur an bestimmte Abnehmer weitergegeben werden, soweit nicht besondere Gründe hierfür bestehen.

Next steps

  • Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine stellen Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Hierdurch sind sie jedoch nicht von der Pflicht entbunden, die kartellrechtlichen Grenzen einzuhalten.
  • Bei Verstößen gegen das Kartellverbot und das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung drohen neben erheblichen Bußgeldern auch Kartellschadensersatzansprüche der Abnehmer.
  • Bei Preiserhöhungen und einseitigem Abweichen von getroffenen Vereinbarungen (z.B. Nichtlieferung vereinbarter Mengen oder nachträgliche Preiserhöhungen) tun Unternehmen gut daran, nochmal kritisch zu prüfen, ob sie Adressaten der Missbrauchskontrolle sind. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich die einschlägigen Missbrauchstatbestände nicht nur an marktbeherrschende, sondern auch an marktstarke Unternehmen i.S.v. § 20 Abs. 1 GWB richten. In eine solche Stellung können auch kleinere Unternehmen geraten; die Anforderungen sind vergleichsweise gering. Sie können z.B. schon dann verwirklicht sein, wenn ein Abnehmer in einer Situation nicht vorhersehbarer Verknappung nicht zu konkurrenzfähigen Bedingungen auf andere Lieferanten ausweichen kann. In diesem Fall ist der bestehende, an der Weitergabe von Kostensteigerungen interessierte Lieferant, ggf. Adressat des Missbrauchsverbots.
  • Insbesondere nachträgliche Preiserhöhungen sollten vor ihrer Umsetzung genau geprüft werden, wobei neben den kartellrechtlichen auch zivilrechtliche Aspekte eine Rolle spielen. Insgesamt empfiehlt es sich, Preiserhöhungen nachvollziehbar zu begründen und intern die Hintergründe im Detail zu dokumentieren. 

Gerne beraten wir Sie zu allen Fragen rund um die Themen Preiserhöhungen und Lieferengpässe.

 

 

 

Verfasst von Jan Philipp Sparenberg.
 

 

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