Bundeskartellamt veröffentlicht neue Leitlinien zu Bußgeldberechnung und Kronzeugenprogramm

Am 11. Oktober 2021 hat das Bundeskartellamt („BKartA“) zentrale Dokumente für seine Kartellverfolgung aktualisiert und eine Neufassung sowohl seiner Bonusregelung vom 07.03.2006 als auch seiner Bußgeldleitlinien vom 25.06.2013 veröffentlicht (siehe auch die Pressemitteilung des BKartA). Aktualisierungen beider Dokumente waren durch die Praxis erwartet worden, da die im Januar 2021 in Kraft getretene 10. GWB-Novelle einige für die Kartellverfolgung wichtige Änderungen vorsah. Im folgenden Beitrag liefern wir Ihnen einen  Kurzüberblick zu den wesentlichen Neuerungen. Diese betreffen im Wesentlichen die Bußgeldberechnung.

Die Kronzeugenleitlinien

Mit der 10. GWB-Novelle ist die alte Bonusregelung sinngemäß in die neuen §§ 81h – 81n GWB überführt worden. Der Gesetzgeber hatte erkannt, dass diese wichtigen Praxisregelungen nicht nur im „soft law“ geregelt sein sollten. Dementsprechend sind die Änderungen im Rahmen der Bonusregelung denn auch eher kosmetischer Natur. Das Papier ist nun mit „Leitlinien zum Kronzeugenprogramm“ betitelt und in der Tat beschränkt sich das Amt auf eine konkretisierende Erläuterung der gesetzlichen Inhalte ohne sein Ermessen in einer von der bisherigen Praxis wesentlich abweichenden Form zu konkretisieren. Insbesondere erfolgt keine (sinngemäße) Erstreckung des gesetzlichen Kronzeugenverfahrens auf vertikale Verstöße. Diese Diskussion hatte in den letzten Jahren Fahrt aufgenommen, da insbesondere die Europäische Kommission Signale aussandte, wonach sie im Rahmen ihres Ermessens durchaus auch in „Vertikalfällen“ (wie z.B. Gebiets- oder Kundenbeschränkungsabreden zwischen Herstellern und Händlern) eine Privilegierung kooperierender „Whistleblower“ in Betracht zieht. Auch das BKartA hat „Vertikal-Kooperationen“ in Einzelfällen bereits mit Bußgeldfreiheit honoriert, namentlich im den Lebensmitteleinzelhandel betreffenden sog. „Vertikal-Fall“. Gleichwohl betonen die Bonner Wettbewerbshüter nunmehr die gesetzliche Beschränkung der Kronzeugenregelungen auf Kartelle im engeren Sinne („Horizontalfälle“) und lassen die Gelegenheit zu weiteren Konkretisierungen in Hinblick auf vertikale Fälle verstreichen (vgl. Kronzeugenleitlinien, Rn. 2).

Außerdem stellt das BKartA klar, dass die Leitlinien die zivilrechtlichen Folgen wegen der Kartellbeteiligung unberührt lassen (Kronzeugenleitlinien, Rn. 27). Die zuletzt häufiger von BKartA-Präsident Mundt ins Gespräch gebrachte Privilegierung des Kronzeugen – also des ersten ein Kartell offenlegenden Unternehmens – gegenüber den Schadensersatzforderungen kartellgeschädigter Abnehmer oder Lieferanten bleibt damit ebenfalls unberücksichtigt. Sie wäre freilich auch ohne gesetzliche Änderung nicht umsetzbar, da eine solche Privilegierung über die derzeit in § 33e GWB vorgesehene Besserstellung des Kronzeugen deutlich hinausginge. Die rechtspolitische Debatte zu dieser sehr praxisrelevanten Frage wird uns in der nächsten Zeit sicherlich weiter beschäftigen. 

Im Übrigen enthalten die neuen Kronzeugenleitlinien, wie erwähnt, keine Überraschungen. Hervorzuheben ist jedoch, dass sie gleichsam rückwirkend in Kraft treten. Wie in Rn. 30 klargestellt, wird das Amt sämtliche nach dem 19. Januar 2021 gestellten Kronzeugenanträge allein auf Basis der gesetzlichen Regelungen in §§ 81h – 81n GWB in Verbindung mit den neuen Leitlinien behandeln.

Eine Kurzzusammenfassung der Inhalte der Kronzeugenleitlinien findet sich in einem vom BKartA separat veröffentlichten Merkblatt.

Die Bußgeldleitlinien

Wie der Pressemitteilung des BKartA zu entnehmen ist, geht die Behörde davon aus, dass sich „das Bußgeldniveau nicht wesentlich ändern“ wird. Dies ist zum jetzigen Zeitpunkt naturgemäß nicht vorherzusagen. Klar ist aber: die neuen Bußgeldleitlinien bringen neben kleineren Detailanpassungen jedenfalls eine gewichtige Änderung bei der Berechnungsmethodik sowie detailliertere Ausführungen zur sog. Compliance-Defense mit sich. Damit gibt es hier durchaus größere Bewegungen in für die Praxis zentralen Fragen.

Compliance-Maßnahmen als täterbezogenes Kriterium

Im Einklang mit der 10. GWB-Novelle enthalten die Bußgeldleitlinien nun Ausführungen zur Compliance-Defense, d.h. der Möglichkeit, dass vor und nach der Tat getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen bußgeldmindernd berücksichtigt werden können (Bußgeldleitlinien, Rn. 14). Hierzu wird erläutert (Bußgeldleitlinien, S. 11, Anm. 3, Hervorhebungen von uns):

„Ein berücksichtigungsfähiger Faktor sind Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von entsprechenden Zuwiderhandlungen (Compliance). Art und Umfang von erforderlichen Vorkehrungen hängen vom jeweiligen Einzelfall ab und dabei insbesondere von Art, Größe und Organisation eines Unternehmens, den zu beachtenden Vorschriften sowie dem Risiko ihrer Verletzung. Mildernd kann zum einen berücksichtigt werden, dass im Unternehmen bereits zur Tatzeit alle objektiv erforderlichen Vorkehrungen ergriffen worden sind, um kartellrechtliche Zuwiderhandlungen wirksam zu verhindern (Vortat-Compliance). Eine Wirksamkeit von Vortat-Compliance ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die getroffenen Vorkehrungen zur Aufdeckung und umgehenden Anzeige der Zuwiderhandlung geführt haben. Ferner steht es der Wirksamkeit von Vortat-Compliance nicht entgegen, wenn die getroffenen Vorkehrungen allein deswegen nicht zur Aufdeckung und Anzeige geführt haben, weil die handelnde Person sich zwecks Erzielung persönlicher Vorteile über den Compliance-Kodex des Unternehmens in außergewöhnlichem Maße und unter gezielter Täuschung seiner Vorgesetzten hinweggesetzt hat. Eine Berücksichtigung von Vortat-Compliance kommt jedoch nicht in Betracht, wenn an der Zuwiderhandlung eine für die Leitung des Unternehmens verantwortliche Person beteiligt gewesen ist. Dies ist in aller Regel der Fall bei Geschäftsführern oder Vorstandsmitgliedern der Nebenbetroffenen selbst oder anderer Konzerngesellschaften, die in der Hierarchie des Unternehmens oberhalb der Nebenbetroffenen stehen. Zum anderen können nach der Tat getroffene Vorkehrungen zur effektiven Vermeidung und Aufdeckung von entsprechenden Zuwiderhandlungen (Nachtat-Compliance) im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des positiven Nachtatverhaltens mildernd berücksichtigt werden. Eine Milderung zieht das Bundeskartellamt insbesondere in Betracht, wenn das Unternehmen überzeugend die ergriffenen Vorkehrungen zur wirkungsvollen Vermeidung künftiger vergleichbarer Verstöße darlegt und ein Bekenntnis zu rechtskonformem Handeln klar erkennbar ist. Ein wichtiges Indiz für die Ernsthaftigkeit von Nachtat-Compliance ist zum einen, dass ein Unternehmen bei der Aufklärung der Tat aktiv kooperiert. Zum anderen fließt auch das Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, in diese Beurteilung der Ernsthaftigkeit mit ein. Aktive Kooperation bei der Aufklärung und das Bemühen um Schadenswiedergutmachung sind zugleich auch eigenständig zu bewertende Aspekte des positiven Nachtatverhaltens (Doppelfunktion).“

Im für die Praxis extrem relevanten Bereich der Vortat-Compliance ist damit klar: Führt ein existierendes Compliance-Management-System (CMS) zur Aufdeckung und Anzeige einer Kartelltat, ist dies grundsätzlich bußgeldmindernd zu berücksichtigen. Hier wird freilich das mit der 10. GWB-Novelle neu eingeführte Kriterium der Vortat-Compliance als Hebel für die Kartellaufdeckung genutzt: „In der Regel“ soll eine bußgeldmindernde Berücksichtigung existierender CMS danach wohl nur dann zu berücksichtigen sein, wenn es nicht nur zur (internen) Aufdeckung der Tat, sondern auch zur (externen) Anzeige derselben, also der Stellung eines Kronzeugenantrags, führt.

Ausgeschlossen sein soll die Compliance-Defense zudem dann, wenn die Tat durch eine für die Unternehmensleitung verantwortliche Person begangen wird.

Für ein Ignorieren bestehender Compliance-Vorgaben durch die „untere Führungsebene“ bzw. sonstige Mitarbeiter wird dagegen wohl eine Einzelfallbetrachtung gelten. Grundsätzlich sollen die Compliance-Maßnahmen zwar bußgeldmindernd berücksichtigt werden können. Fraglich scheint aber, unter welchen Voraussetzungen diese Besserstellung entfällt. Der o.g. Auszug aus den Leitlinien legt nahe, dass jedenfalls in Fällen, in denen die Compliance-Maßnahmen einen Verstoß (1) „allein“ deshalb nicht verhindern konnten, weil die handelnde Person sich (2) zwecks Erzielung persönlicher Vorteile über den Compliance-Kodex des Unternehmens (3) in außergewöhnlichem Maße und (4) unter gezielter Täuschung seiner Vorgesetzten hinweggesetzt hat, eine Minderung des Bußgelds noch in Betracht kommt. Inwieweit dies auch noch in Fällen möglich ist, in denen nicht alle dieser sehr streng formulierten Voraussetzungen vorliegen, , scheint offen und wird durch die Praxis definiert werden müssen.

Im Rahmen der Nachtat-Compliance ist zudem die Klarstellung wichtig, dass den Elementen der Kooperation bei der Aufklärung und dem Bemühen um Schadenswiedergutmachung zwar um Elemente handelt, die regelmäßig mit nachträglichen Compliance-Anstrengungen verzahnt sind, die allerdings stets auch als eigenständige – und damit kumulativ zur Nachtat-Compliance zu berücksichtigende – bußgeldmindernde Umstände zu berücksichtigen sind („Doppelfunktion“).

Berechnung der Kartellbußgelder

Daneben strebt das Amt auch eine Angleichung seiner Bußgeldpraxis mit der gerichtlichen Vorgehensweise an und ersetzt die bisherige Berechnungsmethode. Bislang berechnete die Behörde Bußgelder im Kern so, dass 10% des tatbezogenen Umsatzes, also des im relevanten Kartellzeitraum mit den betroffenen Waren und Dienstleistungen im Inland erzielten Umsatzes, mit einem Faktor multipliziert wurde, der sich anhand der weltweiten Umsätze der gesamten Unternehmensgruppe orientierte. 

Dieser Ansatz wird nun durch die zunächst relativ statische Bestimmung der sog. Umsatzgröße ersetzt. Dabei handelt es sich um einen innerhalb bestimmter Spannweiten fixierten Prozentsatz des tatbezogenen Umsatzes; dieser Prozentsatz wird anhand des Gesamtumsatzes der unternehmerischen Einheit mittels folgender Tabelle bestimmt.

Der konkrete Prozentsatz innerhalb des jeweiligen Intervalls – also z.B. 11, 12 oder 13% – wird dabei durch den Gesamtumsatz festgelegt (Bußgeldleitlinien, S. 8, Anm. 3). 

Der so ermittelte Betrag wird dann im Rahmen der Gesamtabwägung durch Zu- oder Abschläge modifiziert. Abschläge kann es dabei z.B. für die o.g. Compliance-Maßnahmen geben. Das Amt betont selbst, dass es hierdurch „zu einer deutlichen Abweichung vom Ausgangswert nach oben oder unten“ kommen kann.

Inwieweit dies die Verlässlichkeit der in der Praxis oftmals angestellten Versuche zur Prognose möglicher Bußgeldhöhen beeinträchtigt, bleibt abzuwarten. In Rn. 15 der Bußgeldleitlinien wird jedenfalls nahegelegt, dass sich der zunächst rein rechnerisch bestimmte Ausgangswert um über 100% verändern kann.

In seinen weiteren Anmerkungen (S. 12, Anm. 1 und 2 der Leitlinien) erläutert das Amt hierzu:

„Im Regelfall wird nach Abwägung aller erschwerenden und mildernden Umstände nicht mehr als eine Verdoppelung des Ausgangswerts zu erwarten sein. Allerdings muss eine Buße insbesondere mit Blick auf die Unternehmensgröße immer auch ein Mindestmaß an notwendiger Spezialprävention erzielen. Deshalb kann in Fällen, in denen der gesetzliche Bußgeldrahmen nur sehr geringfügig ausgeschöpft würde, eine höhere Geldbuße geboten sein. Dies kann zu einer Buße führen, die – wenngleich in Relation zur Unternehmensgröße immer noch sehr niedrig verortet – im Vergleich zum Ausgangswert deutlich höher liegt. Die Höhe der Geldbuße aus Gründen der hinreichenden Pflichtenmahnung ist immer eine Frage des Einzelfalles. Zugleich kann die Geldbuße als Ergebnis der Gesamtabwägung im Vergleich zum Ausgangswert auch deutlich niedriger ausfallen. Insbesondere in Fallkonstellationen, in denen ein außergewöhnlich hoher tatbezogener Umsatz auf gravierend mildernde Umstände trifft (etwa bei der Rolle des Unternehmens im Kreis der Beteiligten oder bei ausnahmsweise offensichtlich deutlich niedrigerem Gewinn- und Schadenspotential, z.B. aufgrund atypisch geringer Wertschöpfungstiefe) kann eine erheblich niedrigere Geldbuße angezeigt sein.“

Es regiert also weiterhin der Einzelfall. Immerhin ist in Rn. 15 der Bußgeldleitlinien klargestellt, dass die (nahezu) vollständige Ausschöpfung des gesetzlichen Rahmens nur „sehr schwerwiegenden Zuwiderhandlungen vorbehalten“ bleiben soll.

Wichtig ist zudem, dass der Gesamtumsatz der unternehmerischen Einheit – also der weltweite Umsatz der Unternehmensgruppe, zu dem die Tätergesellschaft gehört, aus der heraus der Kartellverstoß begangen wurde – auch über die o.g. Tabelle hinausgehend eine Rolle spielt. Denn er ist für die gesetzliche 10%-Obergrenze des Bußgelds maßgeblich (§ 81c Abs. 2 Satz 2 GWB). Und das BKartA legt diese Obergrenze wiederum als Bezugspunkt für die Bestimmung der Ausgangsbasis der Bußgeldberechnung fest:

  • Liegt die nach der o.g. Tabelle bestimmte „Umsatzgröße“ bei höchstens der Hälfte der gesetzlichen 10%-Obergrenze, ist allein die nach der Tabelle gezeigte Umsatzgröße maßgeblich und dient als Ausgangsbasis für weitere Zu- und Abschläge.
  • Übersteigt die nach der Tabelle ermittelte Umsatzgröße dagegen – z.B. aufgrund eines sehr langen Tatzeitraums oder aufgrund eines überragenden Beitrags der kartellierten Produkte zum Gesamtergebnis der Unternehmensgruppe – die Hälfte der gesetzlichen 10%-Obergrenze, so wird nur diese Hälfte (also die Hälfte der gesetzlichen Obergrenze) als Ausgangswert herangezogen.
  • Wichtig: Nach Rn. 14 der Bußgeldleitlinien ist „das Ausmaß, in dem die Umsatzgröße die Hälfte des gesetzlichen Rahmens übersteigt“ als täterbezogenes Kriterium bei der finalen Bußgeldbestimmung zu berücksichtigen. Ist also das Delta zwischen der Hälfte der gesetzlichen Obergrenze und dem laut Tabelle ermittelten Ausgangswert besonders groß – mit anderen Worten also der tatbezogene Umsatz im Vergleich zum aktuellen Gesamtumsatz besonders hoch – so wird dies als tendenziell bußgelderhöhendes Element berücksichtigt werden.

Zur Erläuterung seien hier zwei instruktive Beispiele aus den Leitlinien wiedergegeben:

  • Hat ein Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor der Bußgeldentscheidung einen Gesamtumsatz in Höhe von 1 Mrd. Euro erzielt, beträgt der gesetzliche Bußgeldrahmen 100 Mio. Euro und sind nach der Tabelle 20% des tatbezogenen Umsatzes anzusetzen. Hat dieses Unternehmen einen tatbezogenen Umsatz in Höhe von 40 Mio. Euro generiert, so beträgt die rechnerische Umsatzgröße 8 Mio. Euro (20% von 40 Mio. Euro tatbezogenem Umsatz). 8 Mio. Euro schöpfen die Hälfte des gesetzlichen Rahmens von 100 Mio. Euro nicht aus. Daher sind die 8 Mio. Euro unmittelbar als Ausgangswert der weiteren Bußgeldbemessung zugrunde zu legen.
  • Hat ein Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor der Bußgeldentscheidung einen Gesamtumsatz in Höhe von 100 Mio. Euro erzielt, beträgt der gesetzliche Bußgeldrahmen bei einer vorsätzlichen Tat 10 Mio. Euro und sind nach der Tabelle 15% des tatbezogenen Umsatzes anzusetzen. Hat das Unternehmen mit der Tat einen tatbezogenen Umsatz in Höhe von 200 Mio. Euro erzielt, so beträgt die Umsatzgröße 30 Mio. Euro (15% von 200 Mio. Euro tatbezogenem Umsatz). 30 Mio. Euro sind aber das Dreifache des gesetzlichen Rahmens von 10 Mio. Euro, so dass der Ausgangswert auf die Hälfte des gesetzlichen Rahmens (also „nur“ 5 Mio. Euro) zu begrenzen ist. Das Ausmaß dieser Begrenzung (hier: 25 Mio. Euro) wird dann als täterbezogenes Kriterium im Rahmen der Gesamtabwägung berücksichtigt.

Inwieweit die neuen Bußgeldleitlinien tatsächlich zu einer Angleichung gegenüber der Bußgeldberechnung durch die Gerichte – namentlich das OLG Düsseldorf – führen werden, scheint offen. Jedenfalls werden die erkennenden Richter auch künftig nicht an die Ausführungen in den Leitlinien des Amts gebunden sein und können insbesondere die Überlegungen zum Delta zwischen tatbezogenen Umsatz und Gesamtumsatz ignorieren bzw. anders werten. Die weiteren Entwicklungen bleiben also mit Spannung abzuwarten.

Ein weiteres für die Kartellverfolgung zentrales Dokument bleibt übrigens unverändert: Das im Februar 2006 veröffentlichte Merkblatt zum Settlement-Verfahren, das die Einzelheiten einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung mit dem Amt und der damit einhergehenden Bußgeldminderung erläutert, ist nicht angepasst worden.

What's next...

Die Bußgeldleitlinien enthalten durchaus Änderungen, die für die Praxis folgenreich sein können. Im Kronzeugenprogramm tut sich dagegen kaum Neues und ob wir in der Bugwelle der neuen Leitlinien nun höhere oder moderatere Bußgelder sehen werden, ist unklar.

Für die „Bußgeldbilanz“ des BKartA deutlich relevanter wäre ohnehin die vom Behördenpräsidenten Andreas Mundt jüngst geforderte Privilegierung von Kronzeugen in zivilen Schadenersatzprozessen, da sie zu einer Zunahme von Kronzeugenanträgen und damit Bußgeldverfahren führen würde. Das Risiko solcher Schadensersatzklagen ist ein Faktor, der bei der Entscheidung für oder gegen eine Kooperation mit den Kartellbehörden in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat – und oft genug gegen eine solche Kooperation spricht. So wurden in Deutschland im letzten Jahr nur 13 Kronzeugenanträge gestellt, nach über 60 noch im Jahr 2013.

Ein „Dornröschenschlaf“ dieses für die Kartellverfolgung elementaren Systems – beim BKartA gehen seit vielen Jahren rund 50% aller Kartellverfahren auf Kronzeugenanträge zurück – ist für die Behörden schlicht nicht hinnehmbar. Der rechtspolitische Handlungsdruck wird hier weiter steigen. Gut möglich also, dass die jetzt veröffentlichten Neuerungen nur der erste Schritt einer umfassenden Nachjustierung im System öffentlicher und privater Kartellverfolgung darstellen werden.
 

Autoren: Christoph Wünschmann und Florian von Schreitter

 

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