Covid-19 - Keine staatliche Entschädigung für pandemiebedingte Betriebsschließungen

Der BGH wies mit seinem Urteil vom 17.03.2022, III ZR 79/21 die Klage eines Hotel- und Gastronomiebetreibers auf Zahlung einer staatlichen Entschädigung für die aufgrund der pandemiebedingten angeordneten Betriebsschließung erlittenen Verdienstausfälle ab. (Quelle: BGH-Pressemitteilung Nr. 033/2022 vom 17.03.2022)

Zum Hintergrund

Der Betreiber eines Hotels und einer Gaststätte ("Kläger") musste seinen Betrieb aufgrund der vom Land Brandenburg ("Beklagte") erlassenen Verordnungen über Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 (GVBl. II Nr. 11, 21 und 25) ab dem 23.3.2020 zeitweise für den Publikumsverkehr (jedoch mit der Möglichkeit des Außerhausverkaufs von Speisen und Getränken sowie der Beherbergung von Gästen zu nicht touristischen Zwecken) schließen. Die erste Schließungsanordnung wurde in einem Schreiben der Gemeinde dem Kläger gegenüber wiederholt.

Der Kläger beantragte eine Coronasoforthilfe und erhielt von der Investitionsbank Brandenburg eine Beihilfe in Höhe von EUR 60.000,-. Mittels Klage begehrte der Kläger den Ersatz seiner darüber hinausgehenden Einbußen in Höhe von EUR 27.017,28 und die Feststellung einer weiteren Entschädigungs- und Schadensersatzpflicht des beklagten Landes.

Seine Ansprüche stützte der Kläger auf folgende rechtliche Grundlagen:

§§ 56, 65 IfSG (Infektionsschutzgesetz)
§ 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art 34 GG (Amtshaftung)
§ 38 OBG BB (Ordnungsbehördengesetz – OBG Brandenburg)
Entschädigung wegen eines enteignenden oder enteignungsgleichen Eingriffs

Sowohl das Landgericht Potsdam als auch das OLG Brandenburg haben wie nun auch der BGH das Vorliegen aller oben genannten Ansprüche verneint und die Klage des Gaststätten- und Hotelbetreibers abgewiesen.

Die Anspruchsgrundlagen im Detail

ad 1) §§ 56, 65 IfSG (Infektionsschutzgesetz)

§ 56 IfSG […] (1) Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld. […]

Ansteckungsverdächtiger iSd § 2 Nr. 7 IfSG ist eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein.

§ 65 IfSG: (1) Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten; eine Entschädigung erhält jedoch nicht derjenige, dessen Gegenstände mit Krankheitserregern oder mit Gesundheitsschädlingen als vermutlichen Überträgern solcher Krankheitserreger behaftet oder dessen verdächtig sind. § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist entsprechend anzuwenden.

§ 16 Allgemeine Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten
§ 17 Besondere Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten, Verordnungsermächtigung

Der Kläger behauptete er sei Ansteckungsverdächtiger im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG. Hierfür genüge die Gefahr, dass Krankheitserreger im Umfeld des vom Kläger in Person eröffneten Betriebes (auch durch Gäste und andere) aufgenommen werden. Nur so seien die Maßnahmen zu rechtfertigen, erlaube § 32 IfSG doch nur Maßnahmen gegen die in § 28 IfSG aufgezählten genannten Störer. Die ver- bzw. angeordnete Betriebsschließung wirke ihm gegenüber wie ein Tätigkeitsverbot nach § 31 IfSG. Insofern stünde ihm eine Entschädigung zu.

Diese Ansicht teilten die Gerichte nicht. Es ist keine der von § 56 IfSG verlangten Voraussetzungen erfüllt. Die Norm gewährt eine Verdienstausfallentschädigung nur den explizit genanntem Personenkreis, zu denen der Kläger nicht gehört. Um als Ansteckungsverdächtiger zu zählen, muss die Aufnahme von Krankheitserregern "anzunehmen" sein. Die Vermutung der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, muss naheliegen. Eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Auch das Argument dass man sich im Betrieb anstecken könnte, führt nicht dazu als "Ansteckungsverdächtiger" eingestuft zu werden. Solch eine erweiterte Auslegung ist mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht mehr zu vereinbaren. Nach Ansicht der Gerichte fehlt es an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung des § 56 IfSG keine umfassende Entschädigungsregelung aller – ob als "Störer" oder als "Nichtstörer" qualifizierten Personen – schaffen.

Diesbezüglich sagt der BGH eindeutig, dass die vom Bundesverfassungsgericht in dem am 16.3.2022 veröffentlichten Beschluss (Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 BvR 1073/21) kursorisch in Erwägung gezogenen verfassungskonforme Auslegung ausscheidet.

Entgegen der Ansicht des Klägers bestätigte das OLG Brandenburg, dass die Behörde aufgrund der Generalklausel des § 28 IfSG auch Schutzmaßnahmen gegen die Allgemeinheit oder auch gegen Personen richten kann, die nicht explizit in § 28 IfSG genannt sind. Diese Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Weiterverbreitung einer übertragbaren Krankheit sind, soweit und solange dies erforderlich ist, zu treffen.

Wie der BGH nun feststellte, ergibt sich auch kein Anspruch aus § 65 Abs. 1 IfSG. Nach dem eindeutigen Wortlaut ist die Vorschrift nur bei Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten einschlägig. Im vorliegenden Fall hatte sich das Coronavirus aber bereits deutschlandweit ausgebreitet, weshalb eine Verhütung per se schon nicht mehr möglich war. Eine ergänzende Auslegung des § 65 Abs. 1 IfSG auf eine Bekämpfungsmaßnahme scheidet aus.

ad 2) § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art 34 GG (Amtshaftung)

§ 839 BGB: (1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. […]

Art. 34 GG: Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.

Der BGH hat auch das Vorliegen eines Amtshaftungsanspruches verneint und sich der Begründung des OLG Brandenburg angeschlossen.

Amtsträger, die für die Gesetzgebung (in diesem Fall das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg für den Erlass der SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnungen) verantwortlich sind, erfüllen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Regel ihre Amtspflichten lediglich gegenüber der Allgemeinheit und nicht gegenüber bestimmten Einzelpersonen oder Personengruppen. Daran ändert auch der Hinweis auf die individuelle Betroffenheit der von dem Gesetz erfassten einzelnen Grundrechtsträger nichts. Sie werden somit nicht zu "Dritten" im Sinne des § 839 BGB. Das beklagte Land hatte dem Bürgermeister der Gemeinde im haftungsrechtlichen Sinne auch kein öffentliches Amt iSd § 34 GG anvertraut.

Der Hauptgrund für die Verneinung der Amtspflicht ist jedoch, dass die in den SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnungen enthaltenen Gebote, Gaststätten und Beherbergungsbetriebe für den Publikumsverkehr zu schließen, nicht rechtswidrig waren. Die Schließung von Gaststätten gehörte zu den durch § 28 IfSG erlaubten Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit, die nicht durch § 31 IfSG gesperrt war, welcher berufsregelnde Maßnahmen allein gegen Kranke, Krankheitsverdächtige usw. vorsieht. Aus demselben Grunde steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Staatshaftung gemäß § 1 Abs. 1 des Staatshaftungsgesetzes des Landes Brandenburg zu.

Die betroffene Branche der Gastronomie und Hotellerie war auch kein "Sonderopfer" im verfassungsrechtlichen Sinne. Das beklagte Land nahm mit den in Rede stehenden Eindämmungsverordnungen nicht Einzelne gesondert in die Pflicht und verstieß somit auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.

ad 3) § 38 OBG BB

§ 38 OBG BB

(1) Ein Schaden, den jemand durch Maßnahmen der Ordnungsbehörden erleidet, ist zu ersetzen, wenn er a) infolge einer Inanspruchnahme nach § 18 oder b) durch rechtswidrige Maßnahmen, gleichgültig, ob die Ordnungsbehörden ein Verschulden trifft oder nicht, entstanden ist.

(2) Ein Ersatzanspruch besteht nicht, a) soweit der Geschädigte auf andere Weise Ersatz erlangt hat oder b) wenn durch die Maßnahmen die Person oder das Vermögen des Geschädigten geschützt worden ist.

(3) Soweit die Entschädigungspflicht wegen rechtmäßiger Maßnahmen der Ordnungsbehörden in anderen gesetzlichen Vorschriften geregelt ist, finden diese Anwendung.

Das OLG Brandenburg verneinte auch einen möglichen Anspruch auf Entschädigung auf Grundlage des §  38 OBG BB lit. a) und b). Zum Einen handelte es sich bei den SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnungen nicht um rechtswidrige Maßnahmen und zudem sei wie in § 38 Abs. 3 OBG BB die Entschädigungspflicht bereits in anderen gesetzlichen Vorschriften, hier im Infektionsschutzgesetz, geregelt. Diese Beurteilung hat der BGH vollumfänglich bestätigt.

ad 4) Entschädigung wegen enteignungsgleichen oder enteignenden Eingriff

Schlussendlich wurde auch der Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs verneint, da nicht rechtswidrig in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition eingegriffen wurde. Zwar wurde der Gaststättenbetrieb des Klägers als eine dem Eigentum geschützte Rechtsposition gewertet und auch die Anordnung der Betriebsschließung als Eingriff in die Substanz des Betriebes, jedoch mangelt es auch in diesem Fall an der Rechtswidrigkeit der Maßnahme, also der von dem beklagten Land erlassenen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnungen.

Interessant ist auch die Begründung der Verneinung des Anwendungsbereichs des enteignenden Eingriffs. Dieser stellt zwar nicht auf ein legislatives Unrecht, also auf die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme ab, sondern auf eine unvorhersehbare, atypische Nebenfolge einer rechtmäßig hoheitlichen Maßnahme. Dieses Rechtsinstitut ist nach Auffassung des OLG Brandenburg und nunmehr auch des BGH jedoch keine Aufgabe der Staatshaftung und keine geeignete Grundlage, um massenhaft auftretende Schäden auszugleichen. Sofern dies gewünscht ist, ist es Aufgabe des Gesetzgebers entsprechende Rechtsgrundlagen zu schaffen und soll nicht dem richterlichen Haftungsinstitut überlassen werden. Da die Gaststätten- und Beherbergungsbetriebe nicht die einzigen betroffenen Betriebe waren, fehlt es auch an der für einen Entschädigungsanspruch notwendigen individuellen "Sonderopferstellung".

Der BGH verweist in seinem Urteil ausdrücklich auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG). Nach diesem trägt die staatliche Gemeinschaft Lasten mit, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen. Verantwortlich für die Schaffung entsprechender "Ausgleichsregelungen" ist der Gesetzgeber, der wie im gegenständlichen Fall Ad-hoc-Hilfsprogramme ("Corona-Hilfen") erlassen hat.

Resümee

Die Verneinung einer Amtshaftung war zu erwarten und findet durchaus auch seine rechtliche Berechtigung. Wie bereits schon im Urteil des OLG Brandenburg angeführt, ist die sozialverträgliche Verteilung der pandemiebedingt ungleichen Lasten keine Aufgabe des Eigentums- oder Grundrechtsschutzes sondern in erster Linie eine sozialstaatliche Herausforderung. Insofern sind die betroffenen Branchen auf die staatlichen Beihilfen angewiesen um ihre Umsatzeinbußen abzumildern und müssen nicht den Rechtsweg bestreiten um Entschädigungszahlungen zu erhalten.

Keine Aussage trifft das Urteil über die Frage, ob die Mieten in voller Höhe geschuldet sind. Hierzu hat der BGH mit seinem Urteil vom 12. Januar 2022, XII ZR 8/21, (siehe dazu auch unseren dazugehörigen Beitrag auf Engage) bereits entschieden, dass eine angemessene Verteilung der Risiken gefunden werden muss, die in der Regel bei 50/50 der Nachteile liegt, wobei Beihilfen zu berücksichtigen sind.

 

 

Verfasst von Sabine Reimann und Kerstin Schoening.

 

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